Deutscher Gewerkschaftsbund

30.08.2010
Werner Nienhüser

Aufsichtsrat des Monats 08/10: Wissenschaftlicher Sachverstand

Werner Nienhüser, Aktion Aufsichtrat des Monats im August

Professor Werner Nienhüser, weiteres Mitglied im Aufsichtsrat der Georgsmarienhütte Holding GmbH. Foto: Kortenkamp

Werner Nienhüser (56) ist Aufsichtsrat des Monats August. Er vertritt die Interessen der ArbeitnehmerInnen als „weiteres“ Mitglied im Aufsichtsrat der Georgsmarienhütte Holding GmbH. Als Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen bringt er wissenschaftlichen Sachverstand in den Aufsichtsrat des Stahlkonzerns im Organisationsbereich der IG Metall ein. Seine Schwerpunkte in Lehre und Forschung sind Arbeit, Personal und Organisation. „Im Aufsichtsrat setze ich meinen wissenschaftlichen Sachverstand im Bereich Personalmanagement im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein.“ Nienhüser ist Mitglied der GEW und Vertrauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung.

1.  Wenn es keine mitbestimmten Aufsichtsräte gäbe, müsste man sie erfinden, weil…

Aufsichtsräte Demokratie und die Lernfähigkeit von Unternehmen fördern. Demokratisierung der Gesellschaft bedeutet auch Demokratisierung der Unternehmen, das heißt konkret: Mitbestimmung. Dabei sollte sich die Mitbestimmung nicht nur auf den Aufsichtsrat beschränken. Man muss darüber nachdenken, wie Mitbestimmung direkt bei Vorstandsentscheidungen und nicht nur indirekt über den Aufsichtsrat möglich ist. Zweitens müsste Mitbestimmung erfunden werden, weil die Lernfähigkeit in mitbestimmten Gremien höher ist als in nicht mitbestimmten. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass bei Entscheidungen durch Mitbestimmung mehr Sichtweisen, mehr Argumente eingebracht werden und die Qualität von Entscheidungen zunimmt. Dabei dauern solche Entscheidungsprozesse zwar länger, die Umsetzung von Entscheidungen erfolgt jedoch viel rascher und reibungsloser, wenn in einer offenen Diskussion Argumente ausgetauscht wurden und dadurch alle Seiten die Entscheidung besser mittragen können. Lernfähigkeit ist deshalb auch ökonomisch sinnvoll.

2. Wenn Sie einen Aspekt des deutschen Mitbestimmungsmodells weltweit einführen dürften: Welcher wäre das – und warum?

Am wichtigsten ist die Einführung der echten paritätischen Mitbestimmung wie wir sie in Montanmitbestimmungsgesetz haben. Nur wenn Arbeitnehmervertreter die gleichen Stimmrechte wie die Arbeitgeberseite haben, können Konflikte positive Lernprozesse in Gang bringen.

3. Wenn die Arbeitnehmerseite nicht aus betrieblichen und externen VertreterInnen zusammengesetzt wäre – was würde dem Aufsichtsrat fehlen?

Dem Aufsichtsrat würde ein Stück inhaltliches Lernpotenzial fehlen. Gerade die Mischung aus internen und externen Mitgliedern ist gut. Interne bringen spezifisches, betriebliches Expertenwissen und entsprechende Interessen ein. Externe haben dieses Wissen nicht, können sich dafür aber den auch notwendigen distanzierteren Blick erlauben. Betriebe sind keine isolierte, einzelwirtschaftliche Veranstaltung. Sie sind ein Element in einem umfassenderen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das ist bei Entscheidungen zu berücksichtigen. Daher ist eine Mischung aus interner und externer Expertise förderlich.

4. Was war bisher Ihr größter Erfolg, den Sie gemeinsam im Aufsichtsrat durchsetzen konnten?

Nun bin ich erst seit 2007 Aufsichtsratsmitglied. Es geht, denke ich, auch weniger um punktuelle Erfolge. Mitbestimmung ist ein dauerhafter Prozess. Wenn man dennoch von Erfolg sprechen will, dann sehe ich diesen darin, dass die Arbeitnehmerseite immer wieder die Möglichkeit von wirtschaftlichen Krisen ins Bewusstsein gerufen und dazu beigetragen hat, die jüngste Krise durch rechtzeitiges Handeln bisher halbwegs sozialverträglich zu meistern. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben naturgemäß das größere wirtschaftliche Risiko und müssen daher besonders aufmerksam für langfristige Entwicklungen sein. Formelhaft kann man sagen, dass ein Erfolg darin besteht, die Nachhaltigkeit des Unternehmens mit gefördert zu haben.

5. …und was das größte Ärgernis im Laufe Ihrer Aufsichtsratstätigkeit?

Besonders ärgerlich war für mich die Erfahrung, dass die Gehälter von Vorständen bzw. Geschäftsführern in einem kleinen Ausschuss ausgehandelt und nicht im Plenum des Aufsichtsrates offen und transparent diskutiert und festgelegt wurden. Aber hier hat der Gesetzgeber ja erfreulicherweise Änderungen erzwungen.

6. Mit Blick auf Europa und die Globalisierung: Muss sich die Arbeit der Aufsichtsräte noch weiter internationalisieren?

Ja, sicher. Wenn Unternehmen international agieren, entsteht die Gefahr, dass die Belegschaften der Betriebe in unterschiedlichen Ländern gegeneinander ausgespielt werden. Zudem muss die Kontroll- und Aufsichtsfunktion des Aufsichtsrates eines international tätigen Unternehmens über die Landesgrenze hinausgehen, daran muss auch die Arbeitgeberseite ein Interesse haben. Klar ist für mich, dass die Interessen der ausländischen Belegschaften eines Konzerns im Aufsichtsrat repräsentiert werden müssen. Hier Modelle zu entwickeln, ist nicht ganz leicht, weil die Arbeitgeberverbände jede Diskussion einer Reform der Mitbestimmung zum Anlass nehmen, insbesondere den Einfluss der Gewerkschaften zu schwächen.

7. Der Aufsichtsrat unterstützt gute und sozial verantwortungsvolle Unternehmensführung, indem…

er erstens gute Vorstände bestellt, zweitens Vergütungssysteme verändert und drittens eine dauerhafte kritische Diskussion über die grundsätzliche Ausrichtung des Unternehmens führt. Erstens: Gute, „soziale“ und „verantwortungsvolle“ Vorstände zu finden, ist nicht einfach: Wie kann man solche Eigenschaften erkennen und künftige Verhaltensweisen prognostizieren? Es wird nicht ausreichen, nur auf die Persönlichkeitseigenschaften von Kandidatinnen und Kandidaten zu schauen. Daher müssen zweitens die Vergütungssysteme anders als bisher Anreize für eine soziale Unternehmensführung schaffen. Drittens muss der Aufsichtsrat eine kritische Auseinandersetzung über die Ausrichtung des Unternehmens führen. In dieser permanenten Auseinandersetzung müssen unterschiedliche Interessen auf den Tisch und offen diskutiert werden. Dies ist sicher einfacher gesagt als getan. Zudem ist der Aufsichtsrat eben nur ein Aufsichts- und kein eigentliches Entscheidungsorgan. Einer der möglichen Ansatzpunkte zur notwendigen Erweiterung der Mitbestimmung wäre die Ausweitung der zustimmungspflichten Geschäfte.

8. Wer reagiert am positivsten auf Ihre Arbeit im Aufsichtsrat, wer weniger positiv?

Das können andere besser beantworten. Mit ein wenig Ironie möchte ich sagen: Nachdenklich würde ich, wenn die Arbeitgeberseite meine Arbeit langfristig ausschließlich positiv sähe. Dies wäre mit meiner Vorstellung eines grundsätzlichen Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit (der aber nicht ausschließt, dass es auch Interessenübereinstimmungen gibt) nicht vereinbar.

9. Das Wort, das in Vorbesprechungen der Arbeitnehmervertreter vor Aufsichtsratssitzungen am häufigsten fällt, ist…

„wirtschaftliche Lage“. Dies zeigt zum einen die Krisenhaftigkeit der letzten Jahre und die Bedrohung der Interessen der Arbeitnehmer. Zum anderen zeigt die häufige Verwendung dieser Begrifflichkeit, dass die Arbeitnehmer durch Mitbestimmung nicht nur ein passives, sondern ein aktives Interesse an der wirtschaftlichen Situation ihres Unternehmens entwickeln und noch stärker positiv dazu beitragen, dass das Unternehmen ökonomisch erfolgreich ist. Wobei die Arbeitnehmerseite bei der gegenwärtigen Ausgestaltung der Mitbestimmung immer Gefahr läuft, auf seine Legitimationsfunktion reduziert zu werden. Ein reines Co-Management, das dem Management nur Hinweise für eine bessere Kapitalverwertung gibt und alle Arbeitnehmerinteressen dieser unterwirft, ist zu wenig. Echte Mitbestimmung und ihr Konfliktpotenzial entfaltet sich dann, wenn Vorschläge im Arbeitnehmerinteresse gemacht und durchgesetzt werden, die der Kapitalverwertung abträglich sind.

10.  Action, Komödie, Tragödie, Krimi, Liebesfilm – welches Genre beschreibt Ihren Aufsichtsrat am besten? Und welchen Titel hätte ein Film über das Gremium

Wenn Sie erlauben, antworte ich etwas an Ihrer Frage vorbei bzw. formuliere sie um: Was für einen Film würde ich über einen Aufsichtsrat machen? Einen Dokumentarfilm, ein Genre, das in der Frage nicht vorkommt, vielleicht, weil die Arbeit von Aufsichtsräten für Dokumentarfilmer schwer zugänglich ist. Ich weise nur auf die Verschwiegenheitspflichten der Aufsichtsratsmitglieder hin. Umso interessanter wäre ein Dokumentarfilm. Müsste ich mich zwischen den von Ihnen in der Frage angebotenen Alternativen entscheiden, würde ich die Form einer Tragikkomödie in der Tradition von Friedrich Dürrenmatt wählen. Lachen über das im Kern Tragische setzt Denken in Gang, meins jedenfalls. Das Ende des Films muss aber nicht zwangsläufig negativ-tragisch sein, es sind mehre, auch positive Enden möglich. Ich würde zwei Enden zeigen. Mein Titelvorschlag, ob nun für den Dokumentarfilm oder die Tragikomödie: „Melodie der Verhältnisse“. Na gut, ich sehe schon, Kassenschlager sind so nicht zu erwarten.


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